Eines der brennendsten Themen an den Kapitalmärkten ist derzeit die „Rückkehr der Inflation“. Die jüngst veröffentlichten Preissteigerungsdaten zeigen deutlich nach oben, was teilweise an dem Vorjahresvergleich liegt – als mitten in der ersten Welle der Pandemie die Preise auf breiter Front nachgaben – und teilweise ein Resultat der zuletzt stark angestiegenen Rohstoffpreise ist. Sowohl Energierohstoffe als auch Holz oder Nichteisen-Metalle sind merklich teurer geworden. Die Finanzmarktteilnehmer stellen sich zunehmend die Frage, wie lange die Zentralbanken ihre ultralockere Geldpolitik beibehalten können.
Die Anleihemärkte haben diese Entwicklung zum Teil schon vorweggenommen. So sind die US-Renditen für zehnjährige Staatsanleihen seit dem Tiefpunkt im vergangenen Sommer zwischenzeitlich um mehr als 1,2 Prozentpunkte angestiegen, hierzulande etwa halb so viel. Zeitgleich mit der Trendwende in den Anleiherenditen fand ein Favoritenwechsel an den Aktienmärkten statt, was dem oberflächlichen Beobachter angesichts der ständigen neuen Höchststände der Aktienbarometer möglicherweise entgangen ist.
Denn etwa im vierten Quartal 2020 endete eine mehrjährige, ausgeprägte relative Stärkephase von Wachstumsaktien (Growth), die gegenüber unterbewerteten, substanzorientierten Value-Aktien eine hinsichtlich Dauer und Ausmass bemerkenswerte Überperformance aufbauen konnten. Der Durchbruch digitaler Geschäftsmodelle, die Ertragsstärke vieler Internetunternehmen – die häufig wenig Kapital benötigen und sehr schnell profitabel werden können – und nicht zuletzt die ultraniedrigen Zinsen haben dieses Kursfeuerwerk angefacht.
Denn der faire Wert einer Aktie berechnet sich in der Theorie nach den auf den heutigen Tag abdiskontierten zukünftigen Erträgen. Sinken nun die Zinsen für längere Zeit auf sehr niedrige Niveaus – wie seit der Grossen Finanzkrise 2008/09 in mehreren Schüben geschehen – sinkt der Diskontierungsfaktor analog. Dadurch werden sehr hohe „faire“ Aktienkurse möglich, insbesondere wenn es mit der Aussicht auf stark wachsende Gewinne einhergeht. Die Rally von Technologie- und Innovationsaktien war also gut fundiert, hat allerdings im letzten Jahr insbesondere bei sehr jungen Unternehmen (als Beispiel sei der „Spac“-Boom genannt) zu allerlei Übertreibungen geführt.
Die Kehrseite dieser Entwicklung zeigt sich nun. Die massiven Kursaufschläge des Jahres 2020 forderten eine Konsolidierung der Gewinne geradezu heraus, gleichzeitig reagierten die Investoren auf die wieder steigenden Renditen. Bankaktien sind traditionell Profiteure steigender Zinsen (und steilerer Renditekurven), ebenso werden zyklische Unternehmen wieder interessant. Seit Oktober 2020 konnte der Value-Index des weltweiten Aktienbarometers MSCI All-Countries World gegenüber seinem Growth-Pendant eine Mehrrendite von 15 Prozentpunkten erzielen, was eine eindrucksvolle Renaissance des Value-Anlagestils ist.
Wenn man den Blick weitet und auch noch kleiner kapitalisierte Unternehmen betrachtet, vergrößert sich die Schere noch einmal. So konnte der US-Nebenwerteindex Russell 2000 Value den Technologie-Index Nasdaq 100 seit Oktober 2020 um 53 Prozentpunkte schlagen. Value schlägt plötzlich Growth, Nebenwerte schlagen Mega-Caps.
Wiederholt sich damit die Geschichte, die sich um die Jahrtausendwende abgespielt hat? In der die Kurse von Technologieunternehmen bis zum März 2000 in aberwitzige Höhen kletterten, gefolgt von einer knapp siebenjährigen massiven Value-Phase? Wir denken, dass dies nicht wahrscheinlich ist. Denn die Voraussetzungen waren damals andere. Bis zur Jahrtausendwende gab es in der Internet-Euphorie und in Erwartung ewigen Wachstums eine heftige Überinvestitionsphase in der Realwirtschaft. Gleichzeitig wurden Aktienkurse von defizitären Startups ohne valides Geschäftsmodell in die Höhe getrieben.
Die Realität heutzutage ist eine andere. Es ist nichts zu spüren von einem exzessiven Investitionszyklus, dessen Überkapazitäten erst einmal verdaut werden müssen, eher im Gegenteil versuchen die Regierungen mit Steuergeldern ein Defizit an Zukunftsinvestitionen anzuschieben. Auch auf der Unternehmensseite ist die Welt eine völlig andere. Viele Internet- und Industrieunternehmen sind hoch innovativ, sehr profitabel und stehen häufig am Beginn eines jahrelangen Trends. Prominente Beispiele sind die Elektrofahrzeugbranche oder Erneuerbare Energieerzeugung. Auch für thematische Anlagestrategien, die häufig in Wachstumsunternehmen investieren, sehen wir keine jahrelange Dürrephase.
Unterschätztes Wachstum
Denn die Ertragskraft und die Wachstumsraten für Umsätze und Gewinne dieser Zukunftsprofiteure werden nach wie vor unterschätzt. Sicherlich kann die Präferenz der Investoren für Value-Aktien und sonstige Zykliker noch eine Weile weitergehen, aber die Bewertungen der besseren (!) Technologieunternehmen sind bereits deutlich günstiger geworden. Der disruptive Charakter ihrer Produkte und Dienstleistungen sollte früher oder später den Druck auf die Bewertungen wegen steigender Zinsen überkompensieren.
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