Asset-Allocation: Gegenwind für Aktien wird stärker
Die Inflation ist zur grössten Sorge der Anleger geworden. Der Preisdruck nimmt deutlich zu – der US-Kernteuerungsindex erreichte im April 3,0% im Jahresvergleich und damit den höchsten Stand seit 1995. Weniger klar ist jedoch, ob der Anstieg nur von kurzer Dauer sein wird oder ob er der Vorbote einer grundlegenden Veränderung der wirtschaftlichen Bedingungen ist, wenn sich die Welt von der Pandemie erholt.
Unsere Analysen zeichnen kurzfristig ein freundliches Bild. Lässt man Produkte aussen vor, die sich durch COVID-19 verteuert haben, erscheint die Inflation moderat und hat im April kaum zugelegt. (Wir haben Preise für Flugreisen, Unterkunft, Gebrauchtfahrzeuge, Mietwagen, Fernseher, Spielzeug und PCs unberücksichtigt gelassen). Blicken wir jedoch in die Zukunft, ist das Potenzial für eine Zunahme des Preisdrucks beträchtlich. Auch wenn es kaum Belege für einen Anstieg der Löhne gibt, haben die US-Verbraucher reichlich verfügbares Einkommen – das Sparvolumen liegt bei rund 2 Bio. US-Dollar. Sollte auch nur ein Drittel davon für Dienstleistungen ausgegeben werden – dieses Segment ist im VPI stärker vertreten als Waren – könnte die Kerninflation in einem Jahr zwischen 3,5% und 4% liegen.
Dieser Ausblick an sich ist schon Grund zur Sorge, aber was uns noch mehr beunruhigt, ist die Möglichkeit einer hohen Inflation, die mit einer Abkühlung des Wirtschaftswachstums und des Wachstums der Unternehmensgewinne zusammenfällt. Unsere Frühindikatoren deuten zumindest in diese Richtung. In China ist das Wachstum bereits spürbar rückläufig und auch in den USA kühlt es sich ab. Die Wachstumsrate über einen Zeitraum von drei Monaten hat sich zuletzt auf 7% halbiert.
Die Finanzmärkte müssen sich also auf anhaltenden Preisdruck und schwächeres Wachstum einstellen (siehe Abb. 2). Wir bleiben daher bei unserer neutralen Haltung gegenüber Aktien und wenden uns den defensiveren Bereichen des Aktienmarktes zu.
Obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen weiterhin günstig sind, deuten unsere Konjunkturzyklusindikatoren darauf hin, dass sich das BIP-Wachstum in der zweiten Jahreshälfte verlangsamen wird; der Inflationsdruck wird jedoch anhalten. In China mehren sich die Hinweise auf eine Abkühlung. Die jüngsten Daten zeigen, dass sowohl die Industrieproduktion als auch die Bautätigkeit im April unter ihrem normalen Niveau lagen. Die Gewinne in der Industrie sind diesen Monat im Vorjahresvergleich um 57% gestiegen, aber 92% gegenüber dem Vormonat gesunken. In den Schwellenländern hat sich der Preisdruck verstärkt – der VPI ist von unter 2% Ende letzten Jahres auf durchschnittlich über 3% gestiegen.
Japan ist ein weiteres Sorgenkind. Unsere Frühindikatoren deuten auf einen starken Rückgang der Wirtschaftsaktivität hin. Das Land hat Probleme, die Impfkampagne zu beschleunigen, und kämpft mittlerweile mit der vierten Viruswelle. Dagegen sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA robust, doch die Aussichten hängen stark von potenziellen Ungleichgewichten bei Nachfrage und Angebot ab. Während die Einzelhandelsumsätze boomen – mit 18% über dem Niveau vor der Pandemie –, liegt die Industrieproduktion mit mageren 3% unter dem üblichen Niveau.
Im Vergleich zu den USA steht Europa erst am Anfang der Erholung nach der Pandemie. Da jedoch rund 30% der Bevölkerung ihre erste COVID-19-Impfung erhalten haben und 10% vollständig geimpft sind, dürfte das Wirtschaftswachstum im Sommer rasch ansteigen.
Unseren Liquiditätsindikatoren zufolge reichen die geldpolitischen Impulse der Zentralbanken immer noch aus, um riskantere Anlageklassen zu stützen. Das Volumen der in das Finanzsystem gepumpten Liquidität wächst deutlich langsamer, derzeit nur eine Standardabweichung über der langfristigen Trendrate – vor einigen Monaten waren es noch vier Standardabweichungen. Dieser aggregierte Indikator täuscht jedoch darüber hinweg, dass ein starker Rückgang der kurzfristigen US-Zinssätze immer wahrscheinlicher wird – die mögliche Folge dessen, dass die Geschäftsbanken die immer grösser werdenden Mengen an überschüssigen Barmitteln in der Overnight Reverse Repurchase Facility der US-Notenbank parken.
Mit Blick in die Zukunft ist unklar, wie lange die Märkte auf die Unterstützung der Zentralbanken zählen können. Die chinesische Zentralbank hat die geldpolitischen Zügel bereits angezogen, während die Fed, die sich mit massiven fiskalpolitischen Impulsen, überschüssigem Bargeld im Finanzsystem und einer steigenden Verbrauchernachfrage auseinandersetzen muss, bald entscheiden muss, ob sie die Unterstützung eher früher, aber moderat, oder später im Jahr/Anfang 2022, dafür aber aggressiver, zurückfährt. Aktuell sieht es so aus, als würde die Politik letzteren Weg gehen.
Die Bewertungen deuten darauf hin, dass Aktien im Vergleich zu Anleihen teuer sind. Der Abstand zwischen den Erträgen von Aktien und den Anleiherenditen ist so gering wie seit 2008 nicht mehr, und unser „Aktienblasen“-Index hat mittlerweile Niveaus erreicht, wie wir sie zuletzt 1999 und 2007 gesehen haben.
Unsere marktttechnischen Indikatoren zeichnen ein uneinheitliches Bild. Saisonale Trends kommen eher Anleihen als Aktien zugute. Dennoch bleibt nicht viel Spielraum für einen Rückgang an den Aktienmärkten, da Investorenumfragen zeigen, dass Anleger ihre Aktienbestände verkleinert haben.