Medizin und maschinelles Lernen

Künstliche Intelligenz nimmt bereits einen wichtigen Platz in der Krankheitsdiagnostik ein – Maschinen durchforsten Daten, um Symptome, Risikofaktoren und vieles mehr herauszufiltern.

Der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns ist ein wichtiger Hinweis auf COVID-19 und steht in der offiziellen Liste der Symptome, die einen Corona-Test erforderlich machen.

Dieser Zusammenhang wurde jedoch nicht von Ärzten, Epidemiologen oder Laborwissenschaftlern erkannt – sondern von Computern.

KI-Modelle werteten Daten von rund 2,5 Millionen Menschen aus, die täglich über eine App Updates über ihren Gesundheitszustand gaben, um herauszufinden, welche Symptome am häufigsten mit einem positiven Testergebnis für COVID-19 in Verbindung standen. Die Analysen zeigten, dass der Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns – wissenschaftlich „Anosmie“ – ein genauerer Indikator für die Krankheit ist als Fieber.

Wissenschaftler am King’s College London, am Massachusetts General Hospital und des Gesundheitswissenschaftsunternehmens ZOE entwickelten ein mathematisches Modell, um zu prognostizieren, ob eine Person aufgrund ihres Alters, Geschlechts und des Vorhandenseins oder Fehlens von Schlüsselsymptomen an COVID-19 erkrankt ist. Die Genauigkeit der Diagnosen des Modells lag bei knapp 80%, so die Wissenschaftler.

Dieser Ansatz legt den Grundstein für den Umgang mit künftigen Pandemien. Werden KI-fähige Gesundheits-Apps von einer Vielzahl von Menschen genutzt, können Ärzte schneller alle Symptome neuer Krankheiten identifizieren und auch sehr früh erste Diagnosen stellen. Kommt dann noch ein funktionierendes, automatisiertes Rückverfolgungssystem hinzu (möglicherweise über dieselbe App), ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir künftige Pandemien besser unter Kontrolle haben.

Das ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Das Potenzial von KI in der Diagnostik geht weit über Pandemien hinaus. Nach der Auswertung mehrerer tausend Scans konnten Maschinen Brustkrebs mit einer Genauigkeit erkennen, die mit der erfahrener menschlicher Radiologen vergleichbar ist. Ein breiter Forschungsbericht, der vor Kurzem in der britischen medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde, kommt zu einem ähnlichen Schluss über die Genauigkeit von KI-Diagnosen bei einer Vielzahl von Krankheiten.

Mit solchen Ansätzen könnte es auch möglich sein, Diagnosen an Orten zu stellen, an denen es nur wenige oder gar keine Ärzte gibt, insbesondere in entlegenen Gegenden und in Entwicklungsländern. Auch könnte die Krebsdiagnose beschleunigt werden, das heisst, die Behandlung kann schneller stattfinden, sodass die Heilungschancen grösser sind und das Risiko einer Streuung gemindert wird. Das wäre ein enormer Fortschritt. Wenn Lungenkrebs erkannt wird, solange er noch nicht gestreut hat, liegt die 5-Jahres-Überlebensrate in den USA bei 56%. Sie sinkt auf verschwindend geringe 5%, wenn die Diagnose nicht gestellt wird, bevor der Tumor auf andere Organe übergreift.

Eine schnellere Diagnose kann nicht nur erreicht werden, indem die Testkapazität erweitert wird, sondern auch durch den Einsatz von maschinellem Lernen für die Entwicklung von Tests, die Krebs in einem früheren Stadium erkennen – dem Spezialgebiet des kalifornischen Unternehmens Grail Inc. Es nutzt Sequenzierungstechnologie der nächsten Generation, um winzige DNA- und RNA-Fragmente im Blut aufzuspüren, die von Krebszellen abgegeben werden und oftmals schon vorhanden sind, bevor sich sichtbare Symptome entwickeln.

Bei Krankheiten, die die Analyse mehrerer verschiedener Faktoren erfordern, kann die Fähigkeit von KI zur Verarbeitung riesiger Datenmengen besonders hilfreich sein. Nehmen wir zum Beispiel die Demenz. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass jedes Jahr um die 10 Millionen Fälle der Krankheit neu registriert werden, aber eine gesicherte Diagnose setzt eine komplexe Analyse von Symptomen voraus. Dazu gehören Scans des Gehirns, Bluttests, genetische Vorgeschichte, die Art und Weise, wie Menschen sprechen und gehen, und spezielle kognitive Tests. KI kann diese Daten für Diagnosen zusammenführen und sie für Prognosen verwenden, welche Personen später an Demenz erkranken könnten.

Während die prädiktive KI noch in den Kinderschuhen steckt, werden bestimmte ML-Technologien bereits in der Diagnostik eingesetzt. ScreenPoint Medical zum Beispiel hat Transpara entwickelt – ein KI-gestütztes Programm, das mithilfe von 2D- und 3D-Mammogrammen potenzielle Kanzerosen erkennt und basierend auf dem Risiko einstuft. Das System wird von Radiologen eingesetzt, um Diagnosen zu beschleunigen und weitere Untersuchungen zu priorisieren.

Die renommierte Moorfields Augenklinik in London hat eine Partnerschaft mit Google DeepMind Health geschlossen, um ein System zu entwickeln, das 50 verschiedene Augenkrankheiten diagnostizieren kann. Und der AI-Rad Companion von Siemens Healthineers setzt maschinelles Lernen bei Brust-Röntgenaufnahmen und Lungen-CT-Scans ein, um bei der Eindämmung von COVID-19 zu helfen. Auch Regierungen leisten einen Beitrag: Das Vereinigte Königreich zum Beispiel investiert 250 Mio. GBP in die KI für das nationale Gesundheitssystem NHS.

KI ist also auf dem besten Weg, ein entscheidender Akteur in der Diagnostik zu werden – Hand in Hand mit geschulten Medizinern, um genauere, schnellere und verwertbarere Diagnosen zu erhalten.

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