Energiewende: Die CO2-arme Zukunft der Menschheit bricht an

In einem neuen Buch weisen Wissenschaftler nach, dass die Welt schon eine ganze Reihe von   innovativen Technologien hat, um den Energieverbrauch und elektrizitätsbezogene CO2-Emissionen zu reduzieren. Es gibt also keine Ausrede – wir können und müssen jetzt handeln.

Insekt ruht sich auf einem Blatt aus

Der Mensch hat es geschafft, eine Million Arten an den Rand des Aussterbens zu drängen.

Aktivitäten, für die fossile Brennstoffe genutzt werden, und intensive Landwirtschaft bringen das Klima aus dem Gleichgewicht und lösen einen katastrophalen Verlust von Fauna und Flora aus.1

Dieser extreme Rückgang der Tier- und Pflanzenpopulationen ist der Zerstörung der ökologischen Nische geschuldet, das heisst der Gesamtheit der Umweltfaktoren im Lebensraum, die eine bestimmte Art zum Leben braucht, z.B. Umgebungstemperatur und saubere Luft.

Der Mensch könnte die erste Spezies sein, die durch ihr Handeln direkt zu ihrem eigenen Untergang beiträgt.

Das ist eine deutliche Warnung von Wissenschaftlern, die immer weniger Hoffnung haben, dass die Welt bis 2050 das Pariser Klimaziel – die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius, gerechnet vom Beginn der Industrialisierung – durch effiziente Verringerung der Treibhausgasemissionen erreichen wird.

Der Energiesektor, der für knapp drei Viertel der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist2, steht besonders in der Kritik.

In den letzten vier Jahrzehnten hat sich der globale Energieverbrauch mehr als verdreifacht. In dieser Zeit hat sich der Weltbank zufolge der Beitrag der Strom- und Wärmeerzeugung zu den CO2-Emissionen auf nahezu die Hälfte der gesamten Verbrennung von Energieträgern erhöht, 1980 war es noch ein Drittel.

Auch wenn es paradox erscheint: Ausgerechnet Energie ist der Bereich, der uns realistisch hoffen lässt, dass die Welt tatsächlich den Übergang zu null CO2 schafft, so Professor Hans B. (Teddy) Püttgen, eine international anerkannte Kapazität auf dem Gebiet der nachhaltigen Energie.

In seinem neuen Buch „Electricity: humanity’s low-carbon future“3 schreibt Prof. Püttgen, dass die Welt bereits über eine ganze Reihe innovativer Technologien zur Reduzierung der mit der Erzeugung und dem Verbrauch von Energie und Strom verbundenen Emissionen um zwei Drittel in den zwei Jahrzehnten ab 2015 verfügt.

„Bis 2035 kann ein entschlossener Einsatz der Technologien, die schon verfügbar sind oder in Pilotanlagen eingesetzt werden, einen erheblichen Beitrag zu weniger CO2, zur Verbesserung des globalen Energiezugangs und zur Reduzierung des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen leisten“, schreibt er in dem Buch, das er zusammen mit Yves Bamberger verfasst hat, einem Mitglied der Académie des Technologies, einer französischen Gelehrtengemeinschaft.

„An der Energiefront liegt die Priorität auf der Dekarbonisierung sowohl der Erzeugung als auch des Verbrauchs von Energie, und gleichzeitig darauf, einen besseren Zugang zu verlässlicher und bezahlbarer Energie für benachteiligte Bevölkerungsgruppen sicherzustellen.“

Reduzierung der Emissionen in Energia in 20 Jahren

Um ihren Standpunkt zu verdeutlichen, verfolgen die Professoren Püttgen und Bamberger einen unkonventionellen Ansatz. Sie haben sich ein imaginäres Land namens „Energia“ ausgedacht, eine Nation mit 50 Millionen Einwohnern im Jahr 2015, mit einem ähnlichen Lebensstandard wie in den Industrieländern.

Energia hat sich ehrgeizige Netto-Null-Ziele nach Massgabe des Pariser Klimaschutzabkommens gesetzt und nutzt die bereits verfügbaren Technologien, wie Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, Wasserstoff als Energievektor, fortschrittliche Energieübertragungssysteme und Energiespeicherung der nächsten Generation.

Zwischen 2015 und 2035, so die Autoren, lassen sich die Emissionen von Energia um 63% reduzieren, während sich die Erzeugung von CO2-armer Elektrizität um 42% erhöht.4 In diesem Zeitraum ändert sich nichts am Lebensstandard der Bürger von Energia – das erklärt die breite Akzeptanz in der Bevölkerung.

Technologie zur Reduzierung von Emissionen in Energia

„Die Energieumformung in Energia bis 2035 macht deutlich, welchen Beitrag die vorhandenen Technologien leisten können, wenn ihr Einsatz auf die Priorität der schnellen Dekarbonisierung unserer Lebensweisen ausgerichtet ist“, so heisst es in dem Buch.

Die Erkenntnisse der Autoren werden durch einen aktuellen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) belegt.

Die IEA schätzt, dass neuartige Technologien, die bereits eingesetzt oder gerade entwickelt werden, das Potenzial haben, die CO2-Emissionen des globalen Energiesektors bis 2070 um fast 35 Gigatonnen bzw. 100 Prozent dessen, was im gleichen Zeitraum für einen nachhaltigen Übergang notwendig ist, zu senken.5

Prof. Püttgen sagt, die Integration von CO2-armer Energie, insbesondere aus diskontinuierlichen Energiequellen wie Wind und Solar, erfordere hohe und breite Investitionen in die Erzeugung und die Energienetze.

Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass sich diese zusätzlichen Investitionen in den kommenden Jahrzehnten jährlich auf 1–2% des durchschnittlichen weltweiten BIP belaufen könnten.

Das ist vergleichsweise wenig, wenn man bedenkt, dass die Welt jedes Jahr 6,8% des BIP bzw. 6 Bio. US-Dollar für die Subventionierung des globalen konventionellen Energiesektors ausgibt.6

„Es gibt keine Ausrede – wir können und müssen sofort handeln … Ein grosses Stück des Weges zu einer CO2-freien Welt kann bereits bis 2035 zurückgelegt werden“, so heisst es weiter in dem Buch.

CO2-Gebühr: Für die Erreichung der Energieziele

Prof. Püttgen ist auch der Meinung, dass eine schnelle und tiefgreifende Dekarbonisierung nicht ohne irgendeine Form von CO2-Bepreisung möglich ist.

Die CO2-Bepreisung zielt darauf ab, das Tempo der Dekarbonisierung zu beschleunigen, indem der Einsatz emissionsintensiver Technologien teurer gemacht und finanzielle Anreize für Unternehmen und Konsumenten geschaffen werden, auf nicht fossile Energieträger umzusteigen.

Trotz des vielversprechenden Ansatzes ist die CO2-Bepreisung, die vor knapp fünfzig Jahren erstmals zur Sprache kam, bislang nicht in Fahrt gekommen. Die bestehenden Programme decken gerade mal ein Viertel aller jährlichen globalen Treibhausgasemissionen ab.

Auch die sozialen Dimensionen dieser Massnahmen werden in der Regel ignoriert, da eine direkte CO2-Steuer zu einem Anstieg der Nettolebenshaltungskosten ärmerer Haushalte führt, in deren Budget ein relativ grosser Teil auf Energie entfällt.

In Energia hat die Regierung eine CO2-Gebühr eingeführt, die von allen erhoben und an die Haushalte weitergegeben wird, eine sogenannte Universal and Redistributed Carbon Fee (URCF).

Rapid and profound decarbonisation cannot be done without the use of some form of carbon pricing.

In diesem System würde die CO2-Gebühr auf Basis der potenziellen CO2-Emissionen infolge der Verbrennung eines fossilen Energieträgers gezahlt werden, sobald dieser erstmals in ein Energiesystem eingeführt wird.

Die Einnahmen würden in vollem Umfang an die Haushalte in den Ländern, die die URCF erheben, weitergegeben werden, basierend auf der Anzahl der darin lebenden Personen.

Da die Einnahmen komplett an die Bevölkerung weitergegeben werden, würde die CO2-Gebühr nicht als blosse weitere Steuer mit undurchsichtigem Zweck wahrgenommen werden.

Länder, die die URCF einführen, könnten diese auf fossile Brennstoffe oder Ausrüstung erheben, die aus Ländern ohne URCF importiert werden, und die Einnahmen dann an ihre eigene Bevölkerung weitergeben.

Das wäre ein Anreiz für die Länder, die URCF einzuführen, und würde dazu führen, dass das System nach und nach auf der ganzen Welt übernommen wird. Auf diese Weise gäbe es keine Marktverzerrungen wie bei den derzeitigen CO2-Besteuerungs- und Cap-and-Trade-Systemen.

Für die Schwellenländer kann es Sonderregelungen geben.

Um Marktverzerrungen entgegenzuwirken, empfiehlt Prof. Püttgen die gleichzeitige Einführung in mindestens 55 Ländern, auf die 55% der weltweiten Emissionen entfallen, ähnlich wie bei den Abkommen von Kyoto und Paris.

„Es wäre naiv zu glauben, dass alle Länder der Welt bereit sind, die CO2-Gebühr einzuführen ... ihre universelle Einführung ist jedoch unabdingbar, um Marktverzerrungen zu verhindern“, sagt er.

Nach sechs Jahren komplexer Verhandlungen haben die politischen Entscheidungsträger auf dem UN-Gipfel in Glasgow so etwas wie einen Durchbruch bei der CO2-Bepreisung erzielt.

Man hat sich auf einen Rahmen für einen robusten, transparenten und nachvollziehbaren Markt geeinigt, der es öffentlichen und privaten Akteuren ermöglichen würde, die Pariser Klimaziele zu erreichen, indem sie als Ausgleich für ihre Emissionen CO2-Gutschriften aus Einsparungen Dritter kaufen.

Es ist auch vorgesehen, dass ein Teil der Einnahmen aus dem neuen globalen System für die CO2-Kompensation in Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in den Entwicklungsländern fliesst.

Nach dem Gipfel sind die europäischen CO2-Preise auf ein Allzeithoch von über 66 Euro pro Tonne gestiegen. Das lässt darauf hoffen, dass ein funktionierender CO2-Markt ein Anreiz für umweltbelastende Branchen ist, sich von fossilen Brennstoffen zu verabschieden und in sauberere Technologien zu investieren.

Prof. Püttgen ist sich bewusst, dass die Schwankungen dieser Preise, sowohl hinsichtlich der Häufigkeit als auch der Höhe, es für die verschiedenen Branchen sehr schwer machen, die häufig langfristigen Investitionen in weniger umweltbelastende Technologien richtig zu planen und gleichzeitig die von den Investoren geforderte kurzfristige Rentabilität aufrecht zu erhalten.

Mit einer CO2-Bepreisung in Form einer URCF dürften sich diese Schwankungen nach seiner Einschätzung vermeiden lassen.

Über

Hans B. Püttgen

Professor Hans B. (Teddy) Püttgen ist Leiter des Energy Research Institute an der Technologischen Universität Nanyang in Singapur.

Photo of Hans B. Püttgen

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